Seit letztem Freitag ist es amtlich: Lena Meyer-Landrut wird Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten. In einem spannenden Finale in dem ihre Mitstreiterin Jennifer Braun ebenso zu Hochform auflief, entschied sich das Publikum am Ende für Lena und ihren Song “Satellite”. Das ist mehr als nur eine Personenentscheidung, schon jetzt steht fest, dass Deutschland Grand Prix-Geschichte schreiben wird.
Deutlich wurde das bereits am Finalabend, als die ARD die Siegersongs anderer Länder einspielte. Musikalisch kann man wohl mit Recht die meisten Lieder der anderen Länder als Folklore-Einheitsbrei bezeichnen. Schon in den letzten Jahren schien sich die Präsentation immer weiter weg von musikalischer Leistung, hin zu immer gewagteren Outfits und oppulenteren Bühnenshows zu entwickelt. Seltsam lange Kleider mit Schleppen, falsche Wimpern und reichlich Make-Up bestimmten das Bild, im Hintergrund oft wild artikulierende Background-Sänger und Tänzer. Ab und zu sogar Feuerwerk.
Lena Meyer-Landrut wird herausstechen. Nicht nur hat Deutschland erstmals einen wirklichen Pop-Song (und dazu noch einen astreinen Ohrwurm) zu bieten, viele werden sich angesichts einer so jungen, frischen, eigenwilligen Sängerin auch die Augen reiben. Ist das das neue Deutschland? Individuell, wild, unkonventionell und selbstbewusst? Ohne vergangenen Grand-Prix-Stars wie Max Mutzke, Michelle oder die blinde Corinna May herabwürdigen zu wollen: das erste mal bekommt Deutschland die Chance mit alten Clichès zu brechen.
Denn zweifelsohne fühlt sich breite Öffentlichkeit von der jungen, spritzigen Lena würdiger vertreten als von einer unbekannten Schlagergarde zweiter Klasse. Zwei Tage nach dem Finale von “Unser Star für Oslo” haben bereits eine halbe Million Menschen das Video des Siegerliedes angeschaut. Und 5 Titel in der iTunes Top-Ten sind von den beiden Finalistinnen von “Unser Star für Oslo”. Ein gutes Zeichen, denn ging es beim Grand Prix nicht darum, Songs zu finden die die Menschen lieben? Das wurde zweifellos erreicht. Doch es gibt natürlich auch eine Kehrseite der Medaille.
Eine riesige Marketingmaschine wurde plötzlich in Gang gesetzt. Noch am Finalabend konnte man die Songs der Finalisten bei allen grossen Musikportalen erwerben. Auch Merchandising-Artikel wie T-Shirts waren sofort für den konsumfreudigen Grand Prix-Fan verfügbar. Letztendlich wollen viele am Grand Prix verdienen und die Macher von “Unser Star für Oslo” gaben sich nicht mal ansatzweise Mühe, diese Absicht zu verbergen. Nachdem Lena als Siegerin feststand, nannte Moderator Matthias Opdenhövel ihren vollen Namen bis zum Ende der Sendung noch geschätzte 3 Millionen mal. Möglichst viele in der relevanten Zielgruppe müssen schliesslich wissen, nach was sie als nächstes in ihrem Plattenladen zu fragen haben.
Man kann nur wünschen, das Lena Meyer-Landruts Individualismus und ihre Unbeschwertheit bei all dem Hype nicht auf der Strecke bleiben. Nach ihrem Sieg von Emotionen komplett überwältigt, schaffte sie es im wahrsten Sinne des Wortes mit letzter Kraft, den Siegertitel noch einmal vorzutragen. Noch in der folgenden Nacht wurde das zugehörige Musikvideo mit ihr produziert. Zeitungen und Fernsehsender werden bis zu ihrem großen Auftritt in Oslo jeden Schritt von ihr verfolgen und ihren Alltag komplett auf den Kopf stellen.
Hoffentlich bleibt sie trotz alledem genauso tough und unangepasst wie bisher. Nicht nur für sie wird der Grand Prix-Abend etwas ganz besonderes sein. Es ist die Chance für Deutschland aus der musikalischen Tristesse der vergangenen Jahre auszubrechen und noch einmal komplett neu durchzustarten. Mit einer tollen jungen Frau, mit einem guten Song und mehr mitfiebernden Menschen als je zuvor. Danke Lena!
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